Was mir die Amaryllis zu sagen hat
Da hocke ich in der Kapelle und lasse Stille in mich fallen. Durch alle Gedanken hindurch, die verstören wollen, fällt mein Blick auf die Knospe.
Die Amaryllis! Gestern war sie noch ganz geschlossen. Über Nacht ist das Wunder da und ich sehe das Weiss ganz zart schimmern. Die Amaryllis ist eine Weihnachtsgeschichte an sich. Jedes Jahr bekomme ich eine weisse Amarylliszwiebel von einer Freundin. Auch heuer hat sie den Weg hierher gefunden. Und nun - so kurz vor Weihnachten - zeigt sich die Blüte ganz vorsichtig. Ich staune einfach, ich sehe das Wunder des Lebens, ich verharre und weiss nicht, wie lange ich so da bin und staune oder anbete oder einfach gar nix… Und dann träume ich wach: was wäre, wenn die Drohnen über den Kriegsgebieten alle Blütenknospen statt Bomben abwerfen würden…Was wäre..,, Und ich träume, wie zerbombte Landschaften zum Leben erblühen, wie die Landstriche fruchtbar sind und die Menschen wieder ruhig schlafen und einfach in Frieden leben könnten.
Darf ich so phantasieren? In einer Welt die so brutal zerstört wird. Ich darf es. Darf ich es dann auch einfach so sagen – meine Bilder? Ich darf es – auf die Gefahr hin, dass ich als naive Klosterschwester belächelt werde. Ich riskiere es und werde es rumerzählen: das, was mir die Amaryllis so vermittelte.